Alle Beiträge von

„Schwarze Erde“ von Jens Mühling

Lesetipp Juni 2022: Jens Mühling: „Schwarze Erde – eine Reise durch die Ukraine“  (2016, als Taschenbuch 2018) 

Seit fast vier Monaten beherrscht der Angriff Russlands auf die Ukraine die Schlagzeilen. Doch was wissen wir eigentlich über das osteuropäische Land und die Hintergründe des Krieges?

Der Journalist Jens Mühling hat seinen Reisebericht zwar schon im Jahr 2016 geschrieben, doch in kaum einem Buch bekommt man einen besseren Eindruck vom Zustand des Landes zwischen den beiden russischen Angriffen 2014 und 2022. Einen aktuelleren Untertitel als „Porträt eines Landes in der Zerreißprobe“ hätte der Verlag kaum wählen können.

Im Jahr 2016 erkundete Mühling die Ukraine von Galizien und der polnischen Grenze im äußersten Westen über die großen Städte und die Steppengebiete bis in den Osten, der seit 2014 heiß umkämpften Donbass-Region. Für seine literarische Reportage hat er mit beeindruckendem Gespür interessante Menschen und markante Situationen gefunden. Mühling erzählt unterhaltsam, aber auch kritisch und besorgt. „Es ging mir darum, das Land in seiner ganzen Widersprüchlichkeit zu zeigen“, sagte er in einem Interview. Auf lebendige Weise bringt er die Ukraine seinen Leserinnen und Lesern besser nahe, als all die schockierenden Bilder im Fernsehen es können, und man versteht mehr über die Hintergründe des Krieges.

Der Autor trifft überall auf Familien, deren Mitglieder teils russisch, teils ukrainisch sind. Selbstverständlich sind nicht nur die Kinder zweisprachig. Aus den Erzählungen der Einheimischen erfährt man viel über die Geschichte der Ukraine von der Kiewer Rus im Mittelalter über das Russland der Zaren und die Sowjetunion. Und man erfährt, wie die Ukraine unter Stalins Herrschaft ganz besonders gelitten hat. Obwohl das Land mit seiner fruchtbaren schwarzen Erde als Kornkammer Europas galt, wurden Millionen Ukrainer unter Stalin vertrieben oder mussten Hungers sterben. So lassen sich nationalistische Tendenzen im Land eher verstehen. Trotzdem sind Antisemitismus, Verschwörungstheorien und faschistische Weltsichten, die dem Autor immer wieder aufgetischt werden, nicht nur für ihn verstörend.

Als selbstständiger Staat entstand die Ukraine erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Verträge zur Unabhängigkeit wurden Anfang Dezember 1991 auch von Russland unterzeichnet.

In einem Interview im „Tagesspiegel“ im Jahr 2016 vertrat Mühling die Meinung, „Die Ukraine wird leider nicht zusammenwachsen, solange ihre Spaltung Russland nützt. Europa sollte alles tun, um Putin davon zu überzeugen, dass seine destruktive Sabotagepolitik langfristig auch dem eigenen Land mehr Schaden als Nutzen bringen wird.“ Leider hat der Autor mit dieser bitteren Einschätzung Recht behalten.

Der Journalist Jens Mühling, geboren 1976, arbeitete zwei Jahre in Moskau für die «Moskauer Deutsche Zeitung». Seit 2005 ist er Redakteur beim «Tagesspiegel» in Berlin. Seine Reportagen und Essays über Osteuropa wurden mehrfach ausgezeichnet. Sein erstes Buch «Mein russisches Abenteuer» war in Großbritannien für den renommierten Dolman Travel Book Award nominiert.

Weitere Bücher von Jens Mühling beim Rowohlt Verlag: „Berlin, Spaziergänge durch alle 97 Ortsteile“ (2019) und „Schwere See“ (2020) über eine Reise um das Schwarze Meer

Gute Darstellung der Geschichte der Ukraine bei der „Bundeszentrale für politische Bildung“ unter www.bpb.de    (Geschichte der Ukraine im Überblick)

„Besser leben ohne Plastik“ mit Nadine Schubert

26. April 2022: Plastik ist praktisch und bedroht doch unsere Natur. Wie können wir die Plastikflut stoppen? Gibt es nachhaltige Verpackungen? Was kann jede/r einzelne von uns tun?
Im Selbstversuch stellte Nadine Schubert fest: Plastik einsparen ist weit weniger schwierig als man annehmen könnte. Und es ist dringend nötig!
Nadine Schubert ist Autorin und Journalistin und gibt wertvolle Tipps, wie wir Plastik vermeiden können. Außerdem stellt sich der „unverpackt-Laden“ aus Singen vor.

Natascha Wodin: „Nastjas Tränen“

Lesetipp Febr. 2022 „Nastjas Tränen“ von Natascha Wodin

Was, eine ukrainische Putzfrau ist Hauptfigur eines Romans? Kann das eine entspannende Lektüre sein? Entspannend sicher nicht, dafür umso berührender und aufrührender, manchmal skurril und gar zum Lachen. Und wir erfahren durch eine ganz persönliche Geschichte, warum das Verhältnis zwischen Deutschland und der Ukraine nicht einfach ist, auch wenn hier in Deutschland mehr Menschen aus der Ukraine leben als gedacht.

Im Berlin der frühen 90er Jahre, bald nach dem Ende der Sowjetunion, ergattert Nastja aus Kiew eine Putzstelle bei Natascha Wodin, der Autorin, die in diesem Buch Romanhaftes mit eigener Geschichte und eigenem Erleben verbindet.

Die hochgebildete Nastja, etwa 50, aber immer noch bildhübsch, war in ihrer Heimat Kiew Tiefbauingenieurin gewesen, aber dann, nachdem sich die Ukraine als selbstständiger Staat etabliert hatte, verlor sie im heillosen Chaos der Wendezeit ihre Arbeit, war völlig mittellos und musste wie ihre ganze Familie hungern. Bald sah sie keinen anderen Ausweg, als ihr Überleben und das ihres Enkels durch Arbeit im Westen zu sichern. So landete die Ingenieurin als Putzfrau in Berlin. Bald bekam sie einen Minijob bei der Autorin Natascha Wodin. Die war bei der ersten Begegnung so berührt vom Klang der Sprache der Ukrainerin, denn sie wurde an ihre eigene ukrainische Mutter erinnert.

Wodins Eltern waren während des Krieges als blutjunge Zwangsarbeiter nach Deutschland gekommen. 1945 kam Wodin in Bayern zur Welt. Ihre Mutter jedoch war so traumatisiert, dass sie sich wenige Jahre später das Leben nahm. Deshalb wuchs die Autorin in einer bayrischen Klosterschule auf, durch und durch deutsch und katholisch, doch die Ukrainerin Nastja rührte an ihr Herz und brachte lang Vergessenes wieder ans Licht.

Problematisch wurde die Lage für Nastja, als sie zu spät bemerkte, dass ihr Touristenvisum abgelaufen war. Von da an führte sie in Berlin das Leben einer Illegalen. Sie tauchte unter, mied U-Bahn-Fahrten aus Angst vor Kontrollen und lebte wie ein Schatten. Ihre Ehe mit dem Motorrad-Fan Achim half ihr nur wenig, denn bald entdeckte Nastja die dunkelsten Seiten von Achim. Doch sie ließ sich nicht unterkriegen, auch wenn sie durch absurde, aber glaubwürdige Wendungen zur Fremden in ihrem eigenen Heimatland Ukraine wurde.

Natascha Wodin gelang wieder ein Roman, der den Lesern die Themen Heimatlosigkeit und gebrochene Biographien anschaulich und packend näher bringt.

Wodin schrieb mehrere ausgezeichnete Bücher. Ihr bekanntestes ist die Geschichte ihrer Mutter „Sie kam aus Mariupol“. Dafür bekam die Autorin den Preis der Leipziger Buchmesse, den Alfred-Döblin-Preis und den Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil 2019 verliehen.

Zum Thema Ukraine sei auch „Schwarze Erde – Eine Reise durch die Ukraine“ von Jens Mühling empfohlen (Lesetipp vom Okt. 2020).