„Aufbrechen“ von Tsitsi Dangarembga

Lesetipp September 2022:

Die Autorin aus Simbabwe erhielt im Oktober 2021 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für ihre Arbeit als Filmemacherin und Schriftstellerin. Dangarembga lebt heute mit ihrem deutschen Mann in Berlin und in Harare. In ihrem Heimatland war sie erst kürzlich angeklagt, denn sie hatte zu einer Anti-Korruptions-Demonstration aufgerufen.

Außerdem kämpft sie mit friedlichen Mitteln für Frauen- und Freiheitsrechte und für politische Veränderungen in Simbabwe. Sie setzt sich intensiv für die Förderung Filmschaffender afrikanischer Frauen ein.

Ihr Roman „Aufbrechen“ schildert den harten Kampf des Mädchens Tambu um höhere Bildung und wie sie sich allmählich aus dem Stammes- und Dorfleben löst. Allerdings zum Preis der Entfremdung von ihren Wurzeln.

Der Roman ist das Porträt einer afrikanischen Gesellschaft, die von Kolonialismus geprägt und vom Patriarchat dominiert ist, in der jedoch die jüngeren Frauen für Selbstbestimmung kämpfen. Dieser Weg geht nur über Bildung.

Es gibt kaum ein Buch, das so einen guten Einblick in Kultur und Denkweisen des ostafrikanischen Landes Simbabwe (früher Rhodesien) gibt. Das Land wurde fast 40 Jahre lang von dem Diktator Mugabe beherrscht und gnadenlos ausgebeutet. Die Lebensumstände sind auch heute noch äußerst schwierig.

Die BBC hat „Aufbrechen“ in die Liste der 100 wichtigsten Bücher aufgenommen, die die Welt geprägt haben. Das Buch ist ausleihbar in der Stadtbibliothek Engen.

„Der Traumpalast“ von Peter Prange

Lesetipp Juli 2022; Peter Prange: „Der Traumpalast – Bd. 1: Im Bann der Bilder“   (Scherz Verlag 2021)

Die Ufa, die Universum Film AG, ist ein Mythos. Sie ist Deutschlands Antwort auf Hollywood. Und das schon kurz nach dem 1. Weltkrieg, also noch zu Stummfilmzeiten. Wer sich für Filmgeschichte und die vermeintlich Goldenen 20er Jahre interessiert, dem sei der dicke Schmöker „Der Traumpalast“ von Peter Prange empfohlen. Der Autor verpackt beides in die spannende und berührende Liebesgeschichte von Tino und Rachel.

Mit einer Nelke im Knopfloch als Glücksbringer flaniert Konstantin Reichenbach, genannt Tino und Sohn einer reichen Bankiersfamilie, 1917 durch Berlin, entdeckt seine Liebe zum Film und zur eigenwilligen Rahel Reichenberg.

Die Menschen strömen in Massen in die Kintopps, warum also nicht in eine Filmgesellschaft einsteigen? Tino hat die nötigen Beziehungen und einen genialen Freund, Erich Pommer, der als Produzent von Filmen wie „Dr. Mabuse“, „Metropolis“ und „Der blaue Engel“ (Regie Fritz Lang) in die Filmgeschichte eingehen wird. Durch Menschen wie sie entwickelt sich der Film zur bedeutendsten Kunstform des 20. Jahrhunderts und aus der Ufa, eigentlich noch während des Krieges als Propaganda-Maschine des Militärs gegründet, wird der große Konkurrent von Hollywood. Die „Flimmeritis“ wird für Millionen zur Droge. Und Kokain zur Modedroge der Reichen.

Aber die frühen 20er Jahre sind keineswegs golden, herrscht doch eine gigantische Inflation und die junge Weimarer Republik wird von politischen Wirren, Morden und Umsturzplänen bedroht. Trotz aller Widrigkeiten treibt Tino den kometenhaften Aufstieg der Ufa voran. Aber schafft er es wirklich, die freiheitsliebende Rahel, die nichts anderes als Journalistin werden will, für sich zu gewinnen? Und wie wird seine Familie, besonders seine antisemitische Mutter auf seine Beziehung zu dem jüdischen Mädchen reagieren?

Den Leser wird vielleicht irritieren, dass Prange an manchen Stellen die in unseren Ohren krass klingende Sprache der damaligen Zeit verwendet. Doch so erreicht der Autor Authentizität, und die heutigen Leser bekommen einen guten Eindruck vom Leben vor 100 Jahren.

Das Buchjournal urteilt: „Mühelos findet Prange die Balance zwischen historischer Genauigkeit und dramaturgischer Finesse … es entsteht das faszinierende Panorama eines glitzernden Jahrzehnts, in dem die Weichen für das kommende Unheil gestellt werden.“

Bestseller-Autor Peter Prange erzählt in fast allen seinen Romanen deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Dabei verknüpft er meisterhaft persönliche Schicksale mit Welt- und Kulturgeschichte. Seine Bücher haben eine Gesamtauflage von mehr als 3 Millionen Exemplaren erreicht. Auch die Verfilmungen begeistern ein Millionenpublikum. Prange lebt in Tübingen und war schon zweimal zu Gast in der Stadtbibliothek Engen.

Wer von der Lektüre süchtig geworden ist: Im Herbst erscheint der 2. Band „Traumpalast – Bilder von Liebe und Macht“. Dann ist der 1.Band auch als Taschenbuch erhältlich. Bd.1 „Im Bann der Bilder“ ist in der Bibliothek ausleihbar oder im örtlichen Buchhandel erhältlich, 800 Seiten, 25 €.

Anmerkung: Es lohnt sich auch hier, die „Notwendige Nachbemerkung“ zuerst zu lesen.

„Schwarze Erde“ von Jens Mühling

Lesetipp Juni 2022: Jens Mühling: „Schwarze Erde – eine Reise durch die Ukraine“  (2016, als Taschenbuch 2018) 

Seit fast vier Monaten beherrscht der Angriff Russlands auf die Ukraine die Schlagzeilen. Doch was wissen wir eigentlich über das osteuropäische Land und die Hintergründe des Krieges?

Der Journalist Jens Mühling hat seinen Reisebericht zwar schon im Jahr 2016 geschrieben, doch in kaum einem Buch bekommt man einen besseren Eindruck vom Zustand des Landes zwischen den beiden russischen Angriffen 2014 und 2022. Einen aktuelleren Untertitel als „Porträt eines Landes in der Zerreißprobe“ hätte der Verlag kaum wählen können.

Im Jahr 2016 erkundete Mühling die Ukraine von Galizien und der polnischen Grenze im äußersten Westen über die großen Städte und die Steppengebiete bis in den Osten, der seit 2014 heiß umkämpften Donbass-Region. Für seine literarische Reportage hat er mit beeindruckendem Gespür interessante Menschen und markante Situationen gefunden. Mühling erzählt unterhaltsam, aber auch kritisch und besorgt. „Es ging mir darum, das Land in seiner ganzen Widersprüchlichkeit zu zeigen“, sagte er in einem Interview. Auf lebendige Weise bringt er die Ukraine seinen Leserinnen und Lesern besser nahe, als all die schockierenden Bilder im Fernsehen es können, und man versteht mehr über die Hintergründe des Krieges.

Der Autor trifft überall auf Familien, deren Mitglieder teils russisch, teils ukrainisch sind. Selbstverständlich sind nicht nur die Kinder zweisprachig. Aus den Erzählungen der Einheimischen erfährt man viel über die Geschichte der Ukraine von der Kiewer Rus im Mittelalter über das Russland der Zaren und die Sowjetunion. Und man erfährt, wie die Ukraine unter Stalins Herrschaft ganz besonders gelitten hat. Obwohl das Land mit seiner fruchtbaren schwarzen Erde als Kornkammer Europas galt, wurden Millionen Ukrainer unter Stalin vertrieben oder mussten Hungers sterben. So lassen sich nationalistische Tendenzen im Land eher verstehen. Trotzdem sind Antisemitismus, Verschwörungstheorien und faschistische Weltsichten, die dem Autor immer wieder aufgetischt werden, nicht nur für ihn verstörend.

Als selbstständiger Staat entstand die Ukraine erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Verträge zur Unabhängigkeit wurden Anfang Dezember 1991 auch von Russland unterzeichnet.

In einem Interview im „Tagesspiegel“ im Jahr 2016 vertrat Mühling die Meinung, „Die Ukraine wird leider nicht zusammenwachsen, solange ihre Spaltung Russland nützt. Europa sollte alles tun, um Putin davon zu überzeugen, dass seine destruktive Sabotagepolitik langfristig auch dem eigenen Land mehr Schaden als Nutzen bringen wird.“ Leider hat der Autor mit dieser bitteren Einschätzung Recht behalten.

Der Journalist Jens Mühling, geboren 1976, arbeitete zwei Jahre in Moskau für die «Moskauer Deutsche Zeitung». Seit 2005 ist er Redakteur beim «Tagesspiegel» in Berlin. Seine Reportagen und Essays über Osteuropa wurden mehrfach ausgezeichnet. Sein erstes Buch «Mein russisches Abenteuer» war in Großbritannien für den renommierten Dolman Travel Book Award nominiert.

Weitere Bücher von Jens Mühling beim Rowohlt Verlag: „Berlin, Spaziergänge durch alle 97 Ortsteile“ (2019) und „Schwere See“ (2020) über eine Reise um das Schwarze Meer

Gute Darstellung der Geschichte der Ukraine bei der „Bundeszentrale für politische Bildung“ unter www.bpb.de    (Geschichte der Ukraine im Überblick)